“Mit der AWO nach Palermo”

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Reisen war einst ein beschwerlich Ding. Über Monate reiste der Nordnomade Goethe über die Alpen nach Sizilien. Heute ist das alles ein bisschen leichter. Der Reisehalbleiter schätzt Billigflieger nicht, manchmal aber geht es nicht anders. Dennoch, die Atmosphäre, die das Fliegen in einem Überlandbus hervorruft, ist einzigartig. Es kommen Erinnerungen hoch von damals: Landverschickung mit der Arbeiterwohlfahrt, kurz der AWO. Frei nach Michel Houellebecq: Sich in einen Billigflieger setzen ist wie in „Ferien fahren“, während ein Flug mit Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Air France an eine Geschäftsreise erinnert, ist der Transit mit Ryanair ein Abenteuer, ein beschwerliches zudem.

Frankfurt oder besser Hahn, ein ehemaliger Militärflughafen, der als solcher 2001 noch zu erkennen war, liegt irgendwo auf dem Land, dort kommt der Urlauber nur mit einem Bus hin. Dort steigt das Flugzeug in die Lüfte und bringt die erschöpften Arbeiter in den Süden. Ryanair, die Arbeiterwohlfahrt der Moderne? Nein, denn die AWO erfüllt noch heute einen guten Zweck im Vergleich zu den Billigfliegern. Erschwinglich muss es sein, viel kann sich der Sonnenhungrige nicht leisten. Die Besonderheit eines Fluges nach Sizilien ist jedoch, dass weniger Touristen, denn Menschen mit Migrationshintergrund die engen Plätze einnehmen. Dem Wahnsinn nah, was bei so einem Flug mit Italienern oder Sizilianern passiert, Chaos pur. „Bitte bleiben Sie angeschnallt bis das Flugzeug zu vollständigem Stillstand gekommen ist. Hinsetzen dahinten!!!! Mobiltelefone aus!!!! Silentium, denkt sich ein besonnener Fluggast.

Zurück zur Arbeiterwohlfahrt; wenn sich gleichzeitig zwei Gates öffnen, ist der Aufbruch vergleichbar mit der Situation, in der Kinder mit der AWO auf Reisen gehen. Ist das mein Bus oder doch der da hinten oder gar der da vorne? Passagiere ergießen sich auf das Rollfeld. Alle stürzen in den erstbesten Flieger. Der Reisehalbleiter spricht drei attraktive Frauen aus dem Baltikum an: Ihr aber müsst den anderen Flieger nehmen, ihr wollt doch nicht nach Sizilien, oder? Ach, warum nicht erwidern die jungen Frauen und kichern, ziehen aber bedauerlicherweise ab und pflanzen sich in das Verkehrsmittel nach Kaunas. Gute Reise. Die Boeing nach Trapani ist übervoll, Gepäck wird von einer Ecke in die andere gestopft, es wird nicht bequemer. Doch dann hat der Steward eine bahnbrechende Idee, schließlich sollte es noch neunzehn freie Plätze geben: „This plane is not going to Kaunas, but to Trapani.“ Hektisch greifen einige Passagiere zu ihren Normtaschen und ergreifen die Flucht, stürzen hinaus auf das Rollfeld und steigen um. Umsteigen auf dem Flughafen, das kann nur Ryanair.

Sizilien, schönes Sizilien. Franco ist Sizilianer, hat dreißig Jahre in Rüsselsheim als Koch gearbeitet. Dann hatte er die Schnauze voll von der depressiven Atmosphäre, die in deutschen Landen vornehmlich bei Nieselregen, manifest durchdringend, tiefgreifend werden kann. Sizilien sei ja sowieso das schönste Stück Land auf Erden. Mag sein. Franco erklärt den Unterschied zwischen den Deutschen und den Sizilianern. Ein Deutscher kann sich mit seinen beiden Augen auf das Glück und den Genuss konzentrieren, tut es aber selten. Der Sizilianer sieht anders: Mit einem Auge genießt er das Leben, mit dem anderen passt er auf, dass ihn niemand bescheißt. Wenn du eine Rechnung begleichen musst, kannst du einem Deutschen deine Hand mit all deinem Geld reichen, er nimmt nur das, was ihm zusteht und zwar genau abgezählt, preciso.

Nach so regenreichen Tagen im Land der Dichter und Denker, drinnen ist nicht draußen, steigt dem Wohlfahrenden schwüle, warme bis heiße Luft in die Nase, die lange Hose schmiegt sich eng an das Bein, endlich Sommer. Danke Süden, dass es dich gibt. Kommt alle her und gebt euer Geld hier aus, statt auf Usedom in den Neoprenanzug zu klettern. Der Süden Europas braucht uns und wir brauchen ihn.

Szenenwechsel: Ein Vierrad gibt Gas, dass die Reifen glühen, inmitten einer ruhigen Straße in Palermo unweit der Hafens. Ungläubig schaut der Reisehalbleiter einen Passanten an. Stronzo, Blödmann! Der Sizilianer erwidert: No, testa di cazzo (Pimmelkopf oder Riesenarschloch)! Was ist denn der Unterschied zwischen testa di cazzo und stronzo, frage ich. Naja, stronzo, das ist normal. Der da ist ein testa di cazzo.

Draußen ist nicht drinnen. Die Leinwände sind präpariert. Der Autor dieser Zeilen pendelt in Gedanken: Wenn Italien gewinnt, wird es am Sonntag lustig in Palermo und naja, die DFB-Jungs haben ja ganz ordentlich gespielt. Zum Glück traf ich einen Gefährten namens Luc, ein Viertel Engländer, ein Viertel Südafrikaner, ein Viertel Franzose, ein Viertel Uruguayer. Endlich einer, der mich versteht – mit einem Grinsen im Gesicht.

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