Xoxo, der entwurzelte Baum

„Du hast da Schokolade im Gesicht“, hörte ich und erwiderte zu meinem Erstaunen: „Das ist keine Schokolade, das ist Xoxo“ und wischte mir durchs Gesicht. „Wie?“ „Naja, die neuen EU-Richtlinien halt!“ Nur mit äußerster Konzentration gelang es mir, ernst zu bleiben. Wirkungsvoll nippte ich an meinem Kaffee, um die letzten Reste meines sogenannten Xoxo-Croissants zu spülen.

„Wenn Schokolade nicht genug Kakao beinhaltet, darf man es nicht mehr Schokolade nennen“ hatte der Bäckersgeselle, der in Wirklichkeit natürlich nur ein Bäckereiverkäufer war, erklärt. Die süße Xoxo-Masse verlangte mehr ungesüßten Kaffee, da sie fast ausschließlich aus Zucker bestand. Wie die dunkle, für Schokolade typische Farbe in die Masse kam, weiß wohl nur der Bäckersgeselle.

Die Bäckerei Degenhardt oder wie auch immer sie heißt betreibt auf der Flaniermeile des Horrors, in der sogenannten Bürgermeister-Smidt-Straße in Bremerhaven drei Filialen. Auf einer Strecke von gefühlt sieben Meilen, real aber nur knapp einem Kilometer, fährt jeden Morgen der Lieferwagen der Bäckerei Engelsdocht seine Tour. Die Zeiten, in denen der Bäckersgeselle noch selbst Hand anlegte, sind unwiderruflich vorbei. Das industriell hergestellte Brot wird nur noch aufgebacken. Der Zauber oder besser die Illusion, dass Backwaren noch etwas mit dem heute so exotisch anmutendem weißen Pulver zu tun haben, aus und vorbei.

Backwaren bestehen aus Masse und Mischung. Was in so einer Mischung steckt, das bleibt ein Mysterium. Das Mehl jedenfalls hat sich eine andere Brutstätte gesucht: Vegetarier-Knacker. Das ist keineswegs ein alter Knacker, der kein Fleisch isst, sondern eine Wurst, die damit wirbt, einerseits knackig – was ganz und gar nicht der Fall ist – und andererseits sowas wie ein Sojawürstchen zu sein, armes Würstchen du!

Die Lektüre der Zutatenliste zeigt an erster Stelle Soja, das bedeutet der Anteil von Soja ist der größte Anteil. Erstaunlich aber ist die Tatsache, dass es nur 14 % sind. Wie das arme Würstchen ganz wird, also nicht bei einer Daseinsform von nur 65 Prozent stagniert, muss mit dem Mehl zu tun haben.

Früher gab es Linguisten, die am Beispiel des Baums zum Ausdruck brachten, was das Wort Baum mit dem Ding Baum zu tun hat. Heute knacken wir die Wurst und beißen in ein Xoxo-Croissant und ganz fern liegt das Wesen des Dings. Wir sehen keinen Baum, wissen aber dass der Baum gemein ist, obwohl es gar keiner ist. Wenn das kein Post-Xoxismus ist. Ferdinand de Saussure, ein munteres Xoxo auf Sie. Den Wortschöpfer von Xoxo hingegen belegen wir mit einem elenden, langewährenden Klumpti, du gemeines Wesen du. Böse, wenn man uns die Sprache nimmt, das letzte, was uns noch blieb.

PS: Beweisfoto nur auf Anfrage…

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1 Response to Xoxo, der entwurzelte Baum

  1. toothroot says:

    Nennen wir den Horror beim Namen: “Stadtbäckerei” Engelbrecht. Die Filialen der Kette überziehen ganz Bremerhaven. Früher gab es mal den Begriff der McDonaldisierung – in Bremerhaven ist das die Engelbrechtisierung. Saussure hätte hier nicht sein Xoxo-Croissant gekauft, soviel ist sicher. Wahrscheinlich hätte er – so wie er es mit den Dingen und ihren Begriffen gemacht hat – gezeigt, was Engelbrecht mit backen zu tun hat: Nämlich nix.

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