Allez les vieux: Französische Wochen à Palerme

Als die einst neunzehnhundertachtundneunzig erfolgreiche Équipe tricolore schon bald rasant alterte, modifizierte man in den vornehmlich deutschen Gazetten die hoffnungsvolle Hymne der Franzosen Allez le bleus in Allez les vieux. Dieser Alterungsprozess ist inzwischen soweit fortgeschritten, dass die Franzosen darauf verzichten, ehrgeizig den Ball über den Rasen zu treiben. Stattdessen wenden sie sich anderen Tugenden zu: Verreisen, der Heimat den Rücken kehren, aufbrechen zu anderen Ufern. Allerdings, hier folgt eine These Kerims, treibt es sie derzeit nicht in ihre ehemaligen Kolonien oder Staatsterritorien jenseits des Mittelmeers, nein, sie kommen nach Sizilien, Palermo. Kreuzfahrtschiffe, so Kerim, verzichten gegenwärtig darauf, dortige historisch bedeutsame Stätten anzupeilen, Stichwort arabische Revolution. Sie tingeln also über den Markt in Palermo, Ballarò, knipsen hier und da schon zum hunderttausendsten Mal festgehaltene Motive, erfreuen sich des bunten Markttreibens. Wenn man ihnen sagte, sie befänden sich mitten in Tunis, denen würde das gar nicht auffallen, man müsste sie lediglich vom palermitanischen Postamt fernhalten. Könnte sie vollends davon überzeugen, wenn man sie an Ecken und Häuserwänden vorbei triebe, die nicht Vietata l’Affissione heißen, sondern Luogo per Affissione. Eine völlig andere Wahrnehmung der Realität! Nächstes Mal empfehle ich als Wiglaf Droste, sich genau hier zu verabreden: Treffpunkt Vietata l’Affissione Ecke Luogo per Affissione: einmalig!

Die Guide-Michelin-Pilger, stets gut am satten Grün zu erkennen, verweilen jedoch nicht nur im Stadtkern von Tunis, sie pilgern sogar auf den Monte Pellegrino, ahnen jedoch nicht, wo die Ziegenböcke und schwarzen Schlangen leben, genießen lediglich den asphaltierten Ausblick. Olivier, ich nenne ihn nur il normanno, er trägt stets einen Strickpullover, silberfarben, der wie eine Ritterrüstung anmutet, grobmaschig, Vollbart, blond, ist auch Franzose, allerdings lebt er seit geraumer Zeit in Palermo, lud zu Quiche ein. Einwurf: treffen sich ein Portugiese, ein Franzose und ein Deutscher, unterhalten sich auf bestem Italienisch. Olivier unterrichtet Französisch und weiß das Leben in vollen Zügen zu genießen. Apropos Zug: Fahri, gesprochen Fachri, ein Neuankömmling aus Tunesien, Zwischenstopp in Lampedusa, gelingt das nicht ganz so gut. Er muss sich im Zug nach Turin in irgendeinem Zwischenraum oder auf dem WC verstecken, Tarif Zéro. Das Boot mit dem er kam war sicherlich voll, symbolisch betrachtet ist es auch im Ballarò voll. Die alteingesessenen Tunesier, derer es sehr viele gibt, nehmen die Neuankömmlinge nicht auf wie Brüder: es gibt keine Arbeit, kein Wohnraum, keine Perspektive, die Stühle in der Barca Messina sind bereits alle besetzt. Scusa, non c’è posto. Viel Glück in Turin. Das Juve-Trainingshöschen hat er ja bereits.

 

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