Blümchenkleid in Hirnkirchen

 

 

 

 

 

 

 

 

Wer an einem Feiertag in der Fremde sich auf ein Fahrrad setzen mag, der nimmt, was da ist. In diesem Fall setzt sich der Reisehalbleiter auf ein wunderschönes Damenfahrrad der Marke Peugeot. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, handelt es sich dabei um ein bei einer Auktion ersteigertes Fahrrad für zwei, ja zwei Euro. In besonders zivilisierten Ländern oder besser gesagt in besonders reichen Ländern ist unüblich, sich um das Alte zu kümmern. In einer Zeit von immer schneller werdendem, technischen Gerät verliert das Alte schnell an Wert, sagt man. Was für rechnende Geräte gilt, muss aber nicht auch für alles andere gelten. So auch nicht für dieses Damenfahrrad. Das von der bayrischen Polizei 1978 geprüfte und gegen Diebstahl registrierte Modell ist sicher noch ein paar Jahre älter und es fährt, die grundlegende Idee des Fahr-rades.

Erfragt man zwei Rennradfahrer den Weg nach Au an der Hallertau, kommt wie so häufig die Frage: Damit? Nun, die beiden Herren sind nicht unsympathisch und weisen den Weg, dass sie Mitleid bekunden, ist allerdings unangemessen. Denn, wer sich auf eine kleine Fahrradtour von 45 bis 50 Kilometer begibt, wie ein, wie man so sagt, Affe auf dem Schleifstein sitzt, der hat plötzlich ganz viele Erinnerung und denkt zurück an die Kindheit. Als Kind, es mag heute noch so sein, ist es nicht wichtig, was für ein Fahrrad man hat, sondern, dass man ein Fahrrad hat. Wie so oft wird mit dem Alter immer wichtiger, was man für ein Modell von einem Auto, von einer Wohnung, von einem Haus, von einem Computer oder was auch immer hat. Sicher, oft hat es auch mit Komfort zu tun und will im höheren Alter nicht als Affe auf der Landstraße auffallen. Wie dem auch sei, das Alte kann gehütet und gepflegt werden. So kann man eine Espresso-Maschine, dessen Henkel abgebrochen ist und der nicht zu verschweißen ist, weil genietet, mit einer eleganten Norma-Schelle wieder herrichten. So kann man ein schönes Waschbecken pflegen und hüten, der Retro-Look kommt ja eh zurück. Und so läßt sich auch das Autofahrtabenteuer in einem alten Bully zu fahren jederzeit neu aufleben lassen. Etwas altes pflegen heißt in diesem Fall allerdings nicht, sich in jungen Jahren, um sich die Hörner abzustoßen und die vielleicht letzte Freiheit seines Lebens in einem gerade noch über den TÜV rübergebrachten Bully in den Süden zu eiern und ihn dann, oft nach kurzer Zeit links liegen zu lassen. Da lobe ich mir die Tüftler, die Autos konservieren, in dem sie die Vierbeiner pflegen und hegen, Zündkerzen wechseln und ähnliche Dinge tun, die der Reisehalbleiter wohl nie beherrschen wird.

Rapsfelder links und rechts, Hopfen hier und da, Objektivwechsel in Hirnkirchen. Fröhlich radelt der Halbleiter das Gefährt, erinnert sich an Zeiten, als Frauen in Blümchenkleidern statt in Wurstpellen Fahrrad fuhren, wie einst Wiglaf Droste anmerkte. Nichts gegen die Wurstpelle, aber eine Laudatio an das Blümchenkleid! Der Weg nach Au führt über eine mäßig befahrene Bundesstraße, Fahrradwege nicht vorhanden. So wie einst, könnte man meinen, als das Fahrrad in den Zeiten des Wirtschaftswunders an Bedeutung verlor, die Männer nach Höherem, Schnellerem strebten und nur Kinder und junge Frauen auf Fahrrädern unterwegs waren. Sie trugen immer bunt, vielleicht, um nicht totgefahren zu werden. So zumindest in Filmen, in den ersten Folgen von Tatort. Oftmals deutete schon das am Wegesrand liegengebliebene Fahrrad auf das aufzuklärende Verbrechen hin, der böse Mann. Vorbei geht es an Wäldern, wie man sie aus Es geschah am helllichten Tag kennt…

Bavaria wirkt stets modern, weil wirtschaftlich so stark, so angepasst an Solartechnik, aber es ist auf seine Weise auch rückständig, andere würden sagen, traditionell. Da stellen sie einen Maibaum auf und zelebrieren eine Tradition, die an anderer Stelle auf diesen Seite aufgegriffen werden mag. Die Dorffeuerwehr stellt ohne akute Gefahr Schilder auf wie Vorsicht Ölunfall, um die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos zu drosseln und so gesehen bei der Hinfahrt nach Au an der Hallertau. Und was muss der Reisehalbleiter auf dem Weg Rückweg hören? Fahrn’s vorsichtig, do is ne Ölspurn. Was vorher noch trickreiche Phantasie war, ist plötzlich Realität. Die Autos fahren Umwege, die sonst andere der Ortskenntnis wegen gehen, doch sie grämen sich. In Frankreich sagt man forcer la fortune, was für gewöhnlich mit das Glück herausfordern übersetzt wird, aber ist die fortune immer nur das Glück, fragt sich der im Kloster Schleyern Apfelsaftschorle schlabbernde Schlucko und grübelt: Hirnkirchen?!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

This entry was posted in Allgemein and tagged . Bookmark the permalink.