Smerdi – In german: Es stinkt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Des Reisehalbleiters Tugend ist es, die Balance zu halten, ein Drahtseilakt: Auf der einen Seite gilt es, das Maximum an Freiheit dem Reisehalbbegleiter einzugestehen, sich zurückzunehmen bei der Entdeckung eines Ortes, den einzuschlagenden Weg zu wählen oder ein Lokal, eine Pizzeria, eine Unterkunft anzusteuern.

In Neapel trennt sich die Spreu vom Weizen. Hier erkennt man den Meister seines Fachs, zu entscheiden, was zumutbar ist und, wann man besser sagt: Hier sollten wir deinem Wunsch widersprechend nicht weitergehen, hier sagt mir meine Erfahrung oder Intuition: meglio di no, besser nicht. In Neapel gibt es viele solcher Ort, die den Fremdling in Furcht und Schrecken versetzen, die einem die Laune verderben, die einen fragen lassen: Was machen die da, hier überschreiten die Indigenen eine Grenze. Hier ist Schluss. Hier wird es unangenehm.

Da ist zum Beispiel die Piazza Garibaldi oder der Corso Umberto I, der den Touristen sicher in die Altstadt führt. Menschen, die einem dermaßen penetrant Billigsocken andrehen wollen, dass die Frage im Raume steht: Warum glauben Menschen, damit Erfolg haben zu können. Billigschrott in allen Formen wird feilgeboten, richtiger Industriemüll mit einer furchteinflößenden Kraft an Mann und Frau gebracht, unglaublich nervtötend. Oder da ist der Besuch einer ursprünglich authentischen, wirklich guten Pizzeria, die einen aber dermaßen betrügt, dass man sich denkt: Mist, mal wieder hereingefallen. Die Einheimischen uns gegenüber zahlen andere Preise oder würden sie sonst zwei Pizzen essen, nach der Diätvorspeise, den obligatorischen Kroketten? Einem Neapolitaner, der eine Ruccola-Pizza empfiehlt, dem ist nicht zu trauen. Nimm die Beine in die Hand und geh, schnell. Die Pizza Marinara allerdings ist lecker, gut. Für zwei Pizzen, ein Bier und ein Wasser 18,- € zu bezahlen ist in Neapel allerdings Wucher!

Zwei Anthropologen unter sich. Der persönliche Reisehalbleiter des Autoren dieser Zeilen, der also ausnahmsweise „sich leiten“ lässt, erhält ein „Super, Danke für die Begleitung“ in den Stadtteil Sanità, wo kein Tourist zu sehen ist, weil hier die organisierte Kriminalität, einer der letzten Zufluchtsorte patriarchaler, überholter Gesellschaftsstrukturen, zugegen ist.

Vier Angestellte der Stadt empfangen zwei Anthropologen im Cimitero delle fontanelle. Hier wurde der Stein geschlagen, aus dem die Stadt erbaut wurde, hier verfrachteten die Neustädter (Nea Polis) aber auch die Gebeine eines Friedhofs, der bei einem Erdbeben eben diese zu Tage beförderte. Jeder Kopf hat einen Schutzpatron. Das kann auch der Senior Consulter von Eon sein, Hauptsache jemandes Seele weiht die Knochen. Der demütige Pappkarton als „Sarg“ ist aber schon ein bisschen komisch.

Ansonsten Standardprogramm: Spaccanapoli, Via Tribunale, fatto tutto, un caffè quà uno là, un sorbetto di limone là, eine wunderbares Erlebnis, sofern man die Regeln des Halbleitens verfolgt und die Seitenstraßen wählt.

Der abendliche Ausflug auf die Piazza Orientale entschädigt die mäßige Pizza. Bei einem Minzkaltgetränk beschließe ich, die Empfehlung – der besseren Perspektive halber – für ein Foto im gegenüber liegenden Haus zu bimmeln, um dort vom Balkon aus das Orientale zu knipsen. Im vierten Stockwerk angelangt: Ja genau so. Das ist die ideale Perspektive für das 50mm-Objektiv. Grazie, Barbara.

Der nächtliche Rückweg zum Hotel Casanova verläuft durch den Stadtteil, vom dem viele sagen: Nein, hier nicht durchlaufen, für mich die Alternative zum Corso Vittorio, der einzig schöne Weg in die zauberhafte Altstadt, auch wenn da nachts der Müll liegt und man auf sich und seine Wertgegenstände aufpassen muss: Occhio, Auge! Eine Touristin sagt: Smerdi. Ich erwidere, what language is this? Serbocroatian! Ok, in german es stinkt. Aber die Nase kann man sich im Notfall ja zuhalten. So spontan müssen Reisehalbleiter und Reisehalbbegleiter, der auch Reisehalbleiter ist, sein. Occhio, naso, domani, orecchio, Ohr!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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