Zwi|schen|rech|nung, die: vorläufige [Hoch]rechnung.

Am Ostermontag geschehen erstaunliche Dinge. Rashid und Totò, Stammgäste aus der Taverna Azzurra, lümmeln im Ballarò herum. In der Vucciria ist auch an diesem Tag der Hund begraben, im wahrsten Sinne des Wortes könnte man meinen. Rashid aus dem Irak ist derart von meiner Konfessionslosigkeit begeistert, lädt mich zum Essen ein: La prossima domenica pranziamo insieme. Va bene, ma un’altra domenica, non quella che viene. Kerim treibt sich wieder vor der Bar Messina herum, eine Woche war er nicht zu sehen. Heute hält er lediglich einen Abstand von acht Metern zu der Wirtin unseres Vertrauens, er hat heftig mit ihr gestritten. So liegt es an mir, ihn mit Weißwein zu versorgen. Aufgrund der Feiertage ist das Moretti aus, Becks auch, das Holländer-Gebräu Heineken neigt sich dem Ende, nur das Forst ist noch in ausreichender Menge vorhanden. Was bleibt einem da anderes übrig, als der Gang zur Konkurrenz aus Ghana. Der Gute ist auch am kleinen Ostertag noch bestens sortiert. Bravo! Zeit also für eine Zwischenrechnung.

Als ich in der Bar Messina ankomme, finde ich Volker und Kerim vor. Wir unterhalten uns über den Prozessionszug. Kerim fragt mich höflich, ob er mich bezüglich einer Frage der Aussprache des Italienischen korrigieren darf. Non si dice proccesione, c’è che una C, processione, si pronuncia allora non forte. Volker sagt dazu, ja, wenn Du das C überbetonst, glauben die hier, du wüsstest nicht, wie sich das schreibt. Auch ich überbetone immer die Konsonanten. Gut, der aufmerksame Zuhörer nimmt auf und bessert sich. Volker zieht von dannen. Die Übriggebliebenen diskutieren noch einige grammatikalische Besonderheiten, ein Tunesier und einer, der von sich behauptet: faccia spagnola, testa tedesca. Irgendwann sagt Karim, è un proccesso mit betontem C, ma non si dice proccesso, si dice processo. Karim guckt etwas irritiert und realisiert seinen Lapsus, lacht laut los, wir klatschen ab und freuen uns über unsere Freundschaft. Nachdem er oft sagt, è un cretino, der ist ein Dummkopf, sage ich: Allora adesso voglio sentire una percentuale di persone che secondo te non sono cretini; ci sono allora più di seicentomila abitanti a Palermo. Er erwidert, sechs bis sieben, die nicht dumm sind. Prozent? No, in tutto! Wieder lachen wir uns kaputt. Die Erkenntnis: in der Bar Messina ist der Anthropologe zuhause, gibt Michele, dem sizilianischen Sattler, ein Küsschen hier, ein Küsschen da, sagt: buon giorno a tutti, grüßt die Wirtin, Signora Maria. Karim sagte, sie sei berühmt, hinter dem Tresen hat sie eine spanische Illustrierte, in der man von ihr erzählt, impressionante!

Edmond aus Ghana und sein sizilianischer Neffe Nino, der mit seiner Nichte verheiratet ist, spazierten über den Markt. Mit den beiden und auch mit der Nichte Zara habe ich auch schon tolle Gespräche geführt. Dann ist da noch Franky aus der Elfenbeinküste, er kommt vielleicht demnächst in die Abendschule zu Maria. Von ihr habe ich auch schon so manche spannende Geschichte gehört, die Bangladeshi werden sicherlich auch so manchen Schwank aus ihrem Leben erzählen, so auch Moustafa aus Afghanistan. Deborah aus Palermo arbeitet in der Bar an der Piazza Ballarò, hauptberuflich ist sie allerdings Tätowiererin.

Es ist piano, piano der Punkt erreicht, den Sony-Recorder zu pegeln, für das Feature Ballarò: Polyphoner Klangraum im Süden. Ich wage die Behauptung, meine These sei verifiziert. Alle leben miteinander, nähern sich nicht nur sprachlich. Sono contento! Inzwischen erklärt sogar Karim seinen arabischen Freunden die Idee dieses Projekts, toll.

Die Audio-Seite ist aktiv, heute ist ein neuer Beitrag dazugekommen, die Fotos werden von meinen geschätzten Lesern gelobt, auch die Radiobeiträge finden Interesse, die Wortbeiträge im Blog waren zunächst lediglich Beschreibung des Tagesablaufs, sind inzwischen kritischer geworden, behandeln auch soziale Probleme. Na ja, über Ostern hat ja eh keiner Zeit, vor allem nicht in Bremen, wo die Sonne im Zenit steht, da kann man den inhaltlichen Anspruch auch mal schleifen lassen. Sono contento.

Was bisher fehlt, ist die finanzielle Einbindung in den Wissenschaftsbetrieb, da fällt hoffentlich bald eine positive Entscheidung von Seiten des DAAD. Des Weiteren sollen die Audiobeiträge nicht nur auf dieser Seite zu hören sein, sondern auch gegen Gage im deutschen Radio, dafür bedarf es noch einer gewissen Überarbeitung. Vielleicht muss ich mir für die nächsten Beiträge ein Studio suchen. Schließlich ist beim Sprechen wichtig, auch zu gestikulieren, so wie man halt spricht. Das ist allerdings etwas schwierig unter einer Wolldecke. Außerdem steht noch auf der Agenda, mal einen Artikel zu schreiben. Sei es sozialkritisch für die Jungleworld, habe inzwischen einen Kontakt, die haben schließlich keinen wirklichen Italienexperten, oder sei es für wen auch immer.

Die Woche muss ich unbedingt meine wissenschaftliche Betreuerin vor Ort kontaktieren, schließlich wollte sie mich in ihr Kolloquium einführen. Cirus Rinaldi, der Wissenschaftskollege, will auch mal angerufen werden. Auch hier fehlt noch der regelmäßige Kontakt: Fondazione Ignazio Buttita, Dottor’ Blando…

Aber es sind nicht nur diese Dinge, die mich glücklich machen. Ich bin ausgeglichen, habe an so manchem persönlichen Defekt gearbeitet, auch dank meiner neuen Freunde, mache die Dinge, die mir Freude bereiten, ohne dabei auf der faulen Haut zu liegen. Jetzt muss ich nur noch anfangen, die versprochenen Postkarten zu schreiben. Un saluto a tutti! E grazie a tutti che seguono queste pagine! Grazie besonders auch an Manfred Schlei, der meine skurrilen Webdesign-Vorstellungen realisieren muss. Grazie Zio per le correzioni. Grazie per le critiche a tutti. Merci! Danke. Basta.

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