Erziehung erwünscht

Der Reisehalbleiter ist keiner, der die Verhältnisse vor Ort schön redet. Stattdessen klagt er an: all diejenigen ungezogenen Gören, die von morgens bis abends auf einem Minimoped nichts anderes tun, als ihren Machovorbildern schon im Alter von fünf bis sechs Jahren nachzueifern, all diejenigen, die lediglich die Mama oder Signora als Frauenrespektsperson sehen, all diejenigen, die nichts anderes im Sinn haben als die Frauen mit ihren gaffenden Blicken in ihre Geschlechtsmerkmale aufzuteilen, all diejenigen, die um ein Stück Brot zu holen, ein wie auch immer geartetes motorisiertes Gefährt in Bewegung setzen, all diejenigen, die statt den Verstand einzuschalten, die Stimme bis zu ungeahnten Lautstärken erheben, all diejenigen die meinen hupen zu müssen, nur um zeigen, dass sie da sind, all diejenigen, die ihr motorisiertes Gefährt bis in Bars hinein geleiten müssen, um auch ja Aufmerksamkeit zu erhaschen, all diejenigen, die sich nur aus Ehrgefühl mit anderen Gockeln rangeln. Eine andere Erziehung täte denen mal ganz gut. Elendes Machogehabe, fort damit! Wenn ein Kino damit wirbt, dass die jungen Frauen sich dem Film hingeben können, während oder damit der Machogeier sie ungestört begaffen darf, dann, ja dann wird einem ganz übel und schließlich kotzt einer ganz gewaltig: der Reisehalbleiter. Mi dispiace. Gebt diesen verdammten Jungs was zu tun.

Das denkt sich auch Volker, der sich als Musikpädagoge engagiert. Sein Projekt: ein Orchester im Ballarò auf die Beine stellen. Vermutlicher Name des Orchesters: Banda Disarmata! Anstatt schon in jungen Jahren zu Kleinkriminellen und Schwachsinnigen zu mutieren und eben auch das zu bleiben, sollen die Kinder lernen Probleme anders zu lösen, als auf dem Wege, den sie bis heute kennen. Unterstützt wird das Projekt von der Chiesa San Saverio, von Don Cosimo Scordato. Es gab schon mal einen Deutschen in diesem Viertel und es gibt ihn noch: Wolf Gaudlitz. In den achtziger Jahren hat er einen Dokumentarfilm gedreht. Es gab damals nicht einen Schwarzafrikaner im Viertel zu sehen, maximal drei Tunesier. Das hat sich geändert. Anfang zweitausend hat Wolf Gaudlitz einen Spielfilm gedreht, der – wie ich glaube – durch eine Stimme aus dem Off zu einem Ganzen wurde: Palermo flüstert. Wenn es einem gelingt, die Stadt Palermo flüstern zu lassen, dann kann das nur jemand, der die Stadt gut kennt und mit vorherigen, preisgekrönten Filmprojekten, sich dem Phänomen Sizilien und Palermo genähert hat, in sie eingetaucht ist. Regisseur Wolf Gaudlitz lebt schon lange in Sizilien und Palermo. Chapeau vor dieser Leistung!

Heute machte der ehrenamtliche Nachhilfelehrer, der freischaffende Radioreporter, Reisejournalist und Fotograf, der forschende Wissenschaftler und Anthropologe mit Namen Javier Gago Holzscheiter einen Ausflug in den Borgo Vecchio, dem alten Hafenviertel der Stadt, auf der Suche nach etwas weniger Lärm. Dort musste der mit Schizophrenie und Wahnsinn kämpfende bedauerlicherweise feststellen, dass der Essenstipp keiner mehr ist: Mamma Carmela und ihre Tochter haben die Schürze an den Nagel gehängt. Soweit ich erfahren konnte, gab es ein kleines Feuer in der Küche, die Renovierungskosten wären wohl zu hoch gewesen. Mi dispiace. Aber es gibt ja nicht nur Empfehlungen, Reiseführer oder Halbleiter, es gibt immer auch die Möglichkeit in einem Weinausschank den Wirt nach seinem persönlichen Tipp zu fragen: Da Pino in Piazza L. Sturzo! Gutes Essen, das Personal bestand allerdings, wo ich gerade darüber nachdenke, nur aus Männern, vielleicht haben die ja das Feuer gelegt…

Am Hafen ließ sich ein wenig Reiseatmosphäre schnuppern, Vorsicht vor den Schiffschrauben, war da am Schiffsheck zu lesen. Sind die Menschen hier tatsächlich so dumm, dass man ihnen diesen Warnhinweis geben muss? Ein etwas konsternierter und irritierter Bremer schlenderte durch die Gassen, genoss noch einen Espresso in seiner bevorzugten Bar nahe der Vucciria, plauderte noch ein wenig mit Michele dem Juniorwirt aus der Taverna Azzurra, machte schließlich einen großen Bogen um den polyphonen Klangraum und zog sich in sein Schloss zurück. Ruhe, zumindest für heute. Resümee des Tages: es gibt einiges zu tun! Morgen zum Beispiel, wieder das Positive sehen.

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