Perché non vai a Milano?

Neun Uhr dreißig in der Früh. Rosa, die für gewöhnlich herumbrüllt und Flaschen auf den Boden wirft, kennt die Preise. Da der Genießer guten Kaffees oft zwanzig Cent zurückerhält, fragt sie diesen natürlich nicht nach fünfzig, sondern, rate mal mit Rosenthal, nach zwanzig Cent. Das ist jedoch nicht ungewöhnlich. Als sie aber fragt, Ma sei tu, Mick? Perché non vai a Milano a dare un concerto? guckt der Mick Jagger in spe etwas verdutzt, erinnert sich jedoch an so manche Menschen, die in ihm eben Mick Jagger erkannt haben wollen und erwidert, Mick müsse heute Nachhilfe geben. Dazu später mehr.

Kaum ist der Diskurs über die Rolle der Frau im Ballarò eröffnet, ereignen sich ungewöhnliche Dinge. Rosa ist charmant. Sie bekommt aber nur zehn Cent, da der Barista die anderen zehn bereits als Trinkgeld erhalten hat. Noch ungewöhnlicher ist allerdings die plötzliche Präsenz der Ordnungshüter: ein Oberbefehlshaber mit seinen beiden Adjutanten checkt die Lage. Eine von den beiden ist eine Frau von beträchtlicher Größe, der Pferdeschwanz sitzt, Berett auch, Hand am Halfter. Kerim erwidert auf die Frage, seit wann denn Frauen beim italienischen Militär seien, sempre, vorher hatten sie allerdings nur administrative Aufgaben, sie kämpfen auch in Afghanistan. Doch warum VertreterInnen des Esercito am Vormittag über die Piazza Ballarò schlendern, ist uns allen kein Rätsel, denn – ist ja eh klar – tagsüber passiert nichts, wenn sie sich allerdings mal abends zeigen würden, wäre es vielleicht ein wenig ruhiger. Für gewöhnlich zeigen sie sich nie!

Jedes Viertel Palermos ist in sich organisiert. Wie viele Touristen mit ihrer Nikon, ihrer Canon oder sonstigem technischen Gerät durch den Ballarò spazieren, furchtlos, völlig bedenkenlos!!! Ja, sie haben tatsächlich keinen Grund zur Sorge. Welche kriminelle Organisation wünscht schon die Anwesenheit der Carabinieri, aufgrund von Überfällen auf Touristen. Vorsicht gilt dort, wo keiner zuständig, richtigerweise, wo die Staatsmacht zuständig ist. In den großen Querstraßen, die Palermo in ihre Viertel teilt, dort gebe Acht, dort wirst du nicht beschützt!

Mittag in Palermo, die Sonne brennt, der Wind weht, Essen fassen steht auf dem Plan. Es ist günstiger im Rosa Nero einzukehren, als immer wieder Unmengen Gemüse oder ähnliches in die vierte Etage zu schleppen. Auf dem Speiseplan heute: Trippa. Ungemein lecker, mal wieder. Die Tatsache als Einzelkämpfer unterwegs zu sein beschert dem Reisehalbleiter die Bekanntschaft mit einem Italo-Tschechen: Mario. Sono mezzo ceco, ma vedo molto bene. (Für die nicht italophonen Leser: ceco: tschechisch; cieco: blind, in der gesprochenen Sprache kaum zu unterscheiden).

Nachhilfe steht auf dem Plan! Weder blind noch taub hockt der Volunteer zwischen dem Maghreb und Bangladesh. Cárola hat die wahnwitzige Aufgabe, fünf Sätze abzuschreiben und den Schriftzug Happy Easter bunt auszumalen. Asif soll Adverbien in den Lückentext einfügen: Milano! Adverbio? Wie erklärt der Pädagoge einem Kind die Bedeutung eines Adverbs? Wo ist die Grammatik? Das Heft der vierten Klasse habe ich nicht! Cárola hast Du die Grammatik der vierten Klasse. Si, certo! Hilft alles nichts. Die Kollegin sagt schließlich, diktiere es ihm halt. Mit sinnfreiem Blick diktiert Mick Jagger dem Bangladesher Asif die Lösungen. Nichts zu machen: Ballarò ist wie Marzahn, Neukölln, Kreuzberg und Wedding in einem, gelegen mitten in München Schwabing. Das ist die Besonderheit. Man stelle sich Kreuzfahrttouristen in Marzahn vor, Mick Jagger lässt grüßen, große Augen, dicke Lippe. Wolken ziehen auf, es regnet.

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