Sizilien: Die Regeln der Antilogik

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Versuch, die Problematik des Südens zum Ausdruck zu bringen, ist zum Scheitern verurteilt. Tourismus funktioniert nicht von alleine. Er funktioniert vor allem dann nicht, wenn diejenigen, die die größte Verantwortung tragen, auf das falsche Pferd setzen. Überall, sei es in Griechenland, sei es in Sizilien, Süditalien im Allgemeinen oder auch Spanien, überall wird ein Tourismus gefördert, der größtenteils nicht nachhaltig ist und dabei schon gar nicht auf die Wünsche und die Bedürfnisse derjenigen eingeht, die als die letzten ihrer Art noch im Süden Urlaub machen. Wer den Mittelmeerraum schätzt denkt zurück an die Zeit, in der in Griechenland alles günstig, provisorisch, authentisch, urig oder auch traditionell war – für den Fremden.

Mit der sogenannten Leugnung der Zeitgenossenschaft stirbt die Idee, dass Traditionen oder auch Lebensformen fern des kapitalistischen Fortschritts bestehen können. Jeder muss die Normen der Moderne annehmen und akzeptieren. Eine Entwicklung zurück zu anderen Lebensformen, zu einem traditionellen, geerdeten Lebensstil ist oft gleichbedeutend mit einem Rückzug aufs Land. Im Wendland zum Beispiel, wo man Kunsthandwerk produziert oder die eigenen Kühe melkt, die Eier von den eigenen Hühnern isst, dort weht der Wind des „Grün im Gesicht“. Eine Mischform von Fortschritt, Nutzung moderner Medien, Technik und ökologischer Lebensweise wird oft gegenseitig abgeschätzt.

Im Süden gibt es Initiativen auch dieser Art, bei gleichzeitigem Bestehen von nahezu autark lebenden Bauern. So befindet sich nahe der schönen Post in Palermo ein „BioBistrot“ mit angeschlossenem „Supermarkt“. Hier finden die Biohungrigen die gute, deutsche Andechser-H-Milch für 1,05 €, während die Industrie-Milch aus sizilianischen Landen nicht unter 1,20 € zu haben ist. Bizarr die Idee, etwas habe die Aura von „grün“, wenn es über die Alpen den Weg auf die Insel findet. Auch im Angebot: deutsche Ziegenmilch.

Initiativen gibt es immer wieder. So auch auf einem ehemaligen Industriegelände, der sogenannten Zisa, wo auch das Goethe-Institut-Palermo seinen Sitz hat. Hier werden deutsche Filme gezeigt, Ausstellungen organisiert, Vorträge gehalten, man spricht und lernt deutsch, kurz „La deutsche Vita“.

Wenn die Sizilianer etwas in die Hand nehmen wollen, stehen sie vor einem großen Problem, vor sich selbst oder ihresgleichen. Der abgesprochene Treffpunkt um 9:30 Uhr wird ohne Zustimmung der anderen Partei an einen anderen Ort verlegt. Der Portiere (Concierge aber auch Torhüter) hat keine Ahnung, wo das Treffen der unterschiedlichen Teilnehmer stattfindet. Eine gute halbe Stunde fragen sich zehn bis fünfzehn Personen, wo Letizia Battaglia ist. Am Ende, stellt sich heraus, befand sich die Gruppe gut versteckt in einem Seitengebäude.

Um in Sizilien etwas auf die Beine zu stellen, bedarf es einer widersprüchlichen Haltung. Du darfst niemandem Konkurrenz machen, denn Konkurrenz belebt das Geschäft nicht wie in anderen Landen, sondern führt zu Verdrängung und Veränderung. Veränderung ist ein Begriff, der schon in dem berühmten Roman und Film „Il Gattopardo“ zum Ausdruck kam. „Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, daß alles sich verändert.“ Die Interpretation dieser widersprüchlichen Aussage eines Gesprächspartners des heutigen Vormittags kommt ohne jede Ironie aus. „Wenn man permanent etwas verändert, gibt es keine Entwicklung.“ Sobald ein Politiker seinen Job gut macht, wird er ausgetauscht. Wenn die Führung eines Unternehmens gut arbeitet, wird sie ausgetauscht, schließlich könnte sie Erfolg haben und damit Macht erlangen.

In Sizilien, erklärt F., gibt es keine Logik, es gibt nur Logiken. Wer etwas auf die Beine stellen will, muss die Regeln der Antilogik kennen und nach ihnen handeln.

So auch bei dem Vorhaben vieler erfolgreicher Fotografen, auf besagtem ehemaligem Industriegelände ein Photographie-Museum zu eröffnen. Eine knapp 300 Quadratmeter große Halle ist bereits renoviert, für wen und was weiß kein Mensch. Hauptsache, es sind schon an die 30 Klimaanlagen installiert und alles ist in schönem Grau gehalten. Für das Foto-Museum ist das nicht so geeignet, denken sich die Initiatoren, vielleicht findet sich ein anderes Projekt irgendwann für diesen hergerichteten Raum. Irgendwann wird es schon passen, was ein paar hunderttausend Euro gekostet hat.

Ein gutes aber hat diese Antilogik: Vor dem Goethe-Institut im Schatten sitzend fragt mich eine Frau mit Rucksack bewaffnet, wo denn Letizia sei. „Keine Ahnung. Die Gruppe dahinten wartet seit einer halben Stunde auf sie.“ Als ich die Frau mit Rucksack in dem gutversteckten Nebengebäude wiedertreffe, sagt Letizia: Sie ist Sängerin, lebt in Berlin. „Sie sind aber nicht etwa Etta Scollo?“ „Doch, das bin ich!“ Eine sizilianische Berühmtheit – in Deutschland. „Sehr erfreut! Ich war auf Ihrem Konzert in der Glocke, das ist Jahre her.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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