Verräterisches Moleskine

Der heutige Tag stand ganz im Zeichen des Santa Chiara. Zunächst begutachtete ich allerdings die Dächer von Palermo, genoss einen Caffè di Palermo und knabberte an meinem Brötchen. Beim Verlassen des Hauses lernte ich meine Nachbarin Claudia kennen und unternahm mit ihr auch gleich einen Ausflug auf den Markt. Am Fischstand bestellte sie ausgenommene Sardinen. Als auch ich meinen Finger hob, schlug sie vor, ihre Portion zu teilen. So machte ich noch meine klassischen Besuche in der Bar Messina und empfing an ihrer Wohnungstür nicht etwa einen Teil der Fische, sondern gleich eine zubereitete Pastasauce, mit Fenchel. Sie hat sich kulinarisch schon angepasst, kommt aus Mailand und lebt seit einigen Jahren in Palermo. Ihre Mutter ist Deutsche und stammt aus Köln. Ein Freund von ihr ist Reisejournalist, sie hat sich mal als Stadtführerin verdingt. Was sie derzeit tut? Meine Vermieterin sagt, sie würde massieren. Ich werde berichten.

Heute stand also meine ehrenamtliche Arbeit auf dem Plan. Es hätte ein entspannter Nachmittag werden können: die Hausaufgaben waren heute ein Klacks, doch mit nachlassender Konzentration kann auch das schief gehen. Egal, ob ich mit ihr prähistorische Kulturen oder die italienische Grammatik studiere, nach circa einer Stunde hat sie keinen Antrieb mehr und macht dicht, dann toben da noch all die anderen herum und ich bin ganz fertig. Konzentration ist allerdings nicht nur beim Studium von Bedeutung, sondern auch beim Spiel. In der Pause zwischen dem Nachhilfeunterricht und der Ausländerabendschule schaute ich der Senegal-Fraktion beim Dame-Spiel zu. In einem Pulk von acht bis zehn Personen sitzen zwei Spieler mit dem großen Brett auf ihren Knien, klopfen, schieben und tratschen. Einer der Spieler war dermaßen abgelenkt oder eingeschläfert, dass er einen fatalen Fehler beging: Die Dame des Gegners hüpfte drei- viermal vor seinen Augen herum, verdattertes Gesicht und schwups: Perdu Fratello! Das Gelächter war groß, der Spott noch viel größer, dabei wurde laut und herzlich gelacht. Verlieren kann auch Freude bereiten. Zurück zum Unterricht: seit zwei Wochen besuche ich nur noch die Kurse von Maria. Sie ist sehr humorvoll, lacht permanent, alle lachen. Die Studenten sprechen bereits gutes bis sehr gutes Italienisch. Die Runde macht unglaublich viel Spaß. Die Attraktion heute: treffen drei pakistanische Gigolos auf zwei ukrainische Schönheiten, die eine blond, die andere hat pechschwarzes Haar, Irene und Ludmilla. Flirtfaktor maximal! Auf dem Stundenplan standen die Hilfsverben: Irene hat schöne Augen, Ludmilla wunderschönes Haar. Sie sind Frauen, sie sind Ukrainerinnen. Außerdem in der Runde Stephane aus Mauritius. Das wird immer bunter in diesem Kreis. Luca hat kein Heft sondern ein Notizbuch, er ist nicht hier um zu Italienisch zu studieren, sondern um uns zu studieren. Wie unangenehm direkt sich Maria ausdrückte, ich errötete souverän. Doch auch ich habe heute eine neue Vokabel gelernt: Pizzicotto, der feine meist weibliche Kniff in den Arm. Gleich in mein Moleskine notiert, verräterisch, aber praktisch.

 

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